Sonntag, 25. Juni 2023

50 Jahre Cinematheque Tel Aviv - Rosenduft gratuliert!

 

                                                Lobby der Cinematheque Tel Aviv (Bild: Rosebud)


Die Zeit vergeht - wie vom Winde verweht (pun intended)...

Als die Cinematheque in Tel Aviv zum ersten Mal ihre Pforten öffnete, stand das Land kurz vor einem der schlimmsten Kriege (dem Jom Kippur Krieg). Man schrieb das Jahr 1973, Elvis Presley war noch am Leben, Woodstock gerade mal 4 Jahre her - und Israel feierte seinen 25. Geburtstag, ein SEHR junges Land!

                                               Cinematheque Tel Aviv (Wikimedia Commons)

In dem sehr industriell designten Gebäude wurden - und werden immer noch - Arthouse Filme gezeigt, die man sonst nirgendwo zu sehen bekam - wie auch? So gut wie niemand hatte einen Fernseher zuhause (und wenn, dann war es schwarz-weiss und hatte nur eine Fernsehstation), von Computer und Handys ganz zu schweigen...

Ausser Theater und Oper gab es also nur das Kino - und das zeigte meist kommerzielle Filme wie Der Clou (the Sting) - es sollten vier Jahre vergehen, bevor der erste Star Wars Film in die Kinos kam. Aber Kunstfilme, die von ausserhalb eingeweihter Kreise unbekannten europäischen Regisseuren gefilmt wurden, wo auch minutenlang nichts passieren konnte, und die Handlung in Orten spielte, die in keiner Postkarte vorkommt? No way!

Ja, und dann kam die Cinematheque - und endlich hatten Cineasten des Nahen Ostens ein Zuhause.

Seitdem ist viel (verschmutztes) Wasser in den Jarkon-Fluss geflossen, Israel hat eine blühende Filmindustrie mit vielen international renommierten Filmen, Regisseuren und Schauspielern - und bricht bei Netflix mit Serien wie "Fauda" oder "Shtissel" ständig neue Rekorde.

Aber damals, vor 50 Jahren, fing alles klein und bescheiden an - zunächst wurden hauptsächlich ausländische Filme gezeigt. Später gab man - beispielsweise mit DocAviv, einen der wichtigsten Dokumentarfilmfestivals - auch lokalen Filmemacher eine Chance. Weitere Events, für die die Cinematheque berühmt wurde, ist das Studentenfilmfestival (ISFF), das Spiritualitätsfilm-Festival, die Familienwochenenden - und auch Kurse, wo sich das Who-is-Who der Filmindustrie zum Besten gibt.

Rosenduft gratuliert zum 50. Geburtstag der Cinematheque Tel Aviv - auf die nächsten 50 Jahre!

                                   

Sonntag, 18. Juni 2023

Das Geheimnis des Abu Tabla

 

                                                Abu Table - nicht der, für den man ihm hält


"Hier (in der Westbank) gibt es viele, die Märtyrer werden wollen. Und bei Euch (in Israel) gibt es Ben-Gvir und andere, der Todesstrafe für Terroristen einführen will. Warum kann man kein Treffen zwischen den beiden Gruppen organisieren? Die einen führen die Todesstrafe aus, die anderen werden Märtyrer, und alle sind glücklich! Walla, was für eine Idee! Euer Abu Tabla"

Wer ist Abu Table?

Seit ca. 3 Jahren (also ab Anfang der Corona-Epidemie) kursierten die Videos von Abu Table - ein palästinensischer Tagesarbeiter, der mit Baseball-Käppie und schwarzer Plastiktüte (Mittagessen) meistens in einem Checkpoint steht, oft ist ein Esel im Bild, und der in perfekten Arabisch mit Nablus-Akzent, oder in gebrochenen Hebräisch die verrückte Realität des Nahen Osten mit viel Humor kommentiert.

Aber er macht auch Musik:



Mehr als 21 Millionen Mal wurden Abu Tables Videos gesehen - und sind bei Juden und Arabern gleich beliebt.

Aber wer ist Abu Table?

Wer ist Joni?

Abu Table, der auch begnadeter Musiker ist, wurde kürzlich von Ohad Hemo, einen promintenten Palästinenser-Korrespondent des israelischen Fernsehen besucht. (Wer Hebräisch versteht, siehe hier und hier)

Im Bericht ist Hemo mehr als beeindruckt von Abu Tables Arabisch, von den Nuancen des lokalen Stadt-Akzents und vom Verständnis des Diskurses.

Und dann zieht Abu Table seinen Hut herunter, setzt eine Kippa auf - und geht in ein Haus in Kfar Eldad (einer Siedlung in der Westbank) - wo seine sechs Kinder auf ihn warten.

Es handelt sich nämlich um einen jüdischen Israeli namens Joni Sharon:

                                                Yoni Sharon


Joni "Abu Table" ("Table"= Trommel, sein Instrument) ist wie gesagt, ein begnadeter Musik, der mit seiner Band, die arabische Instrumentalmusik spielen, sogar Beduinen beeindruckt.

Während Corona nutzte er die Lockdowns und Ungewissheit aus, um witzige Videos als Abu Table zu machen - die Sprache lernte er von seinen palästinensischen Nachbarn, und das so gut, dass viele ihn für einen Palästinenser hielten - so gut konnte er selbst die kleinsten Nuancen herüberbringen. Aber auch interne israelische Politik kannte er so gut wie kaum jemand.

Inzwischen ist er ein Internet-Phänomen, ein Youtube-Superstar, und tourt bereits als Standup-Comedian durch die Länder. So wie es sich für einen Abu Table gehört: mit Baseball-Käppie, schwarzer Plastiktüte in der Hand, und Esel im Hintergrund.

Bilder: Public Domain
Text: Rosebud

Mehr zu Abu Table gibt es auf unserer Facebook-Seite

Samstag, 10. Juni 2023

Die Wüste lebt

 

 


                                                  
                                               Negev-Wüste

Ganz im Süden Israels, in der Mitte der Negev-Wüste, taucht man in eine ganz andere Welt ein: Das Meer ist weit weg, grün sieht man hier nirgends, und man sieht nur Sand, soweit das Auge reicht...

Aber nicht nur die Landschaft ist anders: Steigt man in Beer Sheva von der Zugstation aus, kann man evtl. denken, dass man in Saudiarabien gelandet ist - die Frauen tragen lange, schwarze Schleier, die alles verdecken, einschließlich das Gesicht (nur eine kleine Rille für die Augen bleibt). Die Männer haben lange Bärte und Turbane sowie Wüstengewänder. Das sind Beduinen, die auch heute noch, im 21. Jahrhundert, in Zelten wohnen und den jahrtausend alten Lebensstil des Wüstenvolkes leben.

Nur wenige Meter entfernt ist Beer Sheva, eine hochmoderne Stadt mit Kinos, Cafés, einer Universität auf Weltniveau, Top-Infrastruktur und ein Nachtleben, das mit Tel Aviv konkurrieren kann.
                                                 Ramat Hovav
 Heute geht es aber weder nach Beer Sheva noch zu den Beduinen, sondern in die Stadt ohne Einwohner: Ramat Hovav.

Ramat Hovav, 13km südlich von Beer Sheva, ist nämlich eine reine Industriestadt: Von Pestiziden bis zu Dünger wird hier alles produziert, in einer Stadt, die eine Industriezone hat, die Tausenden Arbeit gibt, und die sogar eine Stadtverwaltung hat - aber keine Einwohner.Für die Stadtverwaltung ist das natürlich ein wunderbares Arrangement: sie muss weder Fernsehkabel auslegen noch Müll abholen noch Wasserrohre verwalten. Für die Industriellen ist das auch ein gutes System: Sie können sich auf ihre Angelegenheiten konzentrieren und produzieren ohne Beschwerden von den Anwohnern zu bekommen - denn es gibt keine.

Und alle Arbeiter gehen am Ende der Arbeit nach Hause und lassen die Fabriken in der Wüste zurück. Wenn sich die Sonne über Ramat Hovav senkt, kehrt Ruhe in die Wüste ein, die nur von einem leisen Sandsturm und dem Jaulen des Kojoten unterbrechen wird. Silencio.



Bilder und Text: Rosebud

Mehr Bilder gibt es auf der Facebook-Seite

Sonntag, 4. Juni 2023

Eine Orgelwerkstatt - in Israel!

 

   

                                       Uri Shani, neuer Leiter der Orgelwerkstatt in Yuvalim, Galiläa, Israel


Ein Traum

"Mein Traum ist es, eine Orgel zu bauen - von der ersten Skizze bis zur wunderschönen Musik, die aus den Pfeifen klingen wird", so sagt Uri Shani, der ab 2022 die einzige Orgel-Werkstatt in Israel übernimmt (bis dato wurde sie jahrzehntelang von Gideon Shamir geleitet).

Shani, gebürtiger Schweizer und in seinem bisherigen Leben als Übersetzer, Theaterregisseur und -lehrer, Journalist und politischer Aktivist (nicht unbedingt in der Reihenfolge) aktiv, hat eine familiäre Beziehung zur Orgel: Der Vater seiner Urgroßmutter Johanna Manheimer geb. Sarasohn war Jakob Sarasohn, der Oberkantor der Synagoge Stettin. Er arbeitete mit dem Rabbiner Vogelstein und dem Organisten Lehmann, und komponierte auch für die Orgel. Uris Urgroßmutter, seine Tochter, war im Mädchenchor der Synagoge, der von der Orgel begleitet wurde.

Uri selbst hat als Kind Musik gelernt, auch Orgelspielen. 

Es war Liebe - vielleicht nicht auf dem ersten Blick (oder Klang), aber dafür mit umso großer Begeisterung.

                                            Orgel, Uri Shani und Gideon Shamir (vlnr)

Das Kircheninstrument konvertiert zum Judentum - und macht Alijah

Denkt man an Orgeln, denkt man an Kirchenmusik, vor allem des Mittelalters - und an Europa. 
Vielleicht wird es Zeit, das zu überdenken - denn seit Jahrhunderten werden Orgeln auch in Synagogen benutzt, vor allem des Reformjudentums, aber auch in orthodoxen Synagogen (wo am Schabbat wegen des Verbots die Pfeifen mit einem Tuch verdeckt wurden). Denn Musik und Liturgie war und ist wichtiger Teil auch des Judentums.

Auch ist die Orgel seit langem nicht nur exklusiv europäisch. Die "neue Welt" (Amerika) erobert sie bereits seit 100 Jahren, und den Nahen Osten. In Israel gibt es bereits Dutzende Orgeln, meist in Kirchen, aber nicht nur. 

Und es gibt nur einen einzigen Orgel-Bauer in Israel - und das war für ein halbes Jahrhundert Gideon Shamir, und ist jetzt Uri Shani.

Eine Anekdote


In dem Video (ab 2:22, Hebräisch mit deutschen Untertitel) erzählt Gideon Shamir eine schöne Anekdote: die große Synagoge Tel Avivs (Beit HaKnesset HaGadol) hätte eine Orgel bekommen sollen. Er machte sich sehr viel Mühe, der Orgel ein jüdisches Antlitz zu geben - so waren im Modell die Pfeifen auf der rechten Seite wie die Menora (der Leuchter des Tempels in Jerusalem) angeordnet und auf der linken Seite wie die zwei Gesetzestafeln der Zehn Gebote.

Wunderschön - nur, das Projekt wurde nie ausgeführt. Warum, das kann man im Video erfahren.

Besucherzentrum



Die Orgelwerkstatt, gelegen im pastoralen Galiläa, ist etwas Einzigartiges und auf jeden Fall einen Besuch wert. Es gibt auch ein Besucherzentrum, wo Uri Shani "Kaffee we-Ugav" serviert - ein Wortspiel, denn Kaffee we-Uga ist Kaffee und Kuchen, mit dem zusätzlichen Buchstaben ist es "Kaffee und Orgel". 

Am Besten per E-Mail: abumidian@yahoo.de oder über das Kontaktformular der Webseite des Orgel-Workshops: https://ugavim.com/kesher/


Mehr zum Orgelworkshop, einschliesslich Fotos und Videos kürzlicher Workshops gibt es auf unserer Facebook-Seite

Donnerstag, 1. Juni 2023

Laptop und Lederhose - die israelische Version

 

                                          An der Schnittstelle der Kulturen



Sozialhilfe und Diamanten

Die Bar-Ilan-Universität liegt an der Schnittstelle zwischen Ramat-Gan und Bnei Brak, zweier Städte, die unterschiedlicher nicht hätten sein können:

Ramat-Gan, ein Vorort von Tel-Aviv, ist eine sehr wohlhabende Stadt, wo sich auch die Diamantenbörse (eine der größten weltweit) befindet. Hier haben die meist säkularen Einwohner Universitätsabschlüsse und gutbezahlte Arbeit, 1-2 Kinder und 3-4 Mercedes. Die Restaurants sind exquisit, die Parks gepflegt und die Luxuswohnungen stilvoll eingerichtet. Die Konversationen sind im eleganten Hebräisch, mit einigen Ausdrücken auf Französisch und Latein.

Nicht so im Nachbarort Bnei-Brak, einer ultra-orthodoxen Hochburg und gleichzeitig eine der ärmsten Städte Israels: Hier hat eine Durchschnittsfamilie 10-12 Kinder, dafür aber im besten Falle nur ein Auto, und bestimmt kein Mercedes, Restaurantbesuche kann sich kaum jemand leisten und die Sozialarbeiter machen Überstunden. Die Bildung besteht nur aus religiösem Unterricht; Mathematik und Englisch sind hier Fremdwörter und –sprachen. Ebenso wie das Hebräisch – viele Familien bevorzugen Yiddisch, da die Landessprache Israels (Hebräisch) nur zum Beten genutzt werden soll.



Tradition und Fortschritt

Die Studenten der Bar-Ilan Universität jedoch vereinen oft beide Welten in sich: Ein religiöser Lebensstil, aber ein Leben in der säkularen Welt: Sie sprechen Hebräisch, nicht Yiddisch, haben sowohl religiöse Bildung als auch Abitur, und auch die Welt der Universität sind ihnen nicht fremd. 

Und so liegt Bar-Ilan zwischen Ramat-Gan und Bnei-Brak, nicht nur geographisch, sondern auch philosophisch: Auf jüdische Tradition wird Wert gelegt (so gibt es z.B. Pflichtkurse in Jüdischer Philosophie), genauso aber auf kritisches Denken und akademische Stringenz.

Kurzum: Laptop und Lederhose, oder hier: Computer und Kippa (jüdische Kopfbedeckung) ...


                                               Bar-Ilan: Auf der Schnittstelle

Bilder und Text: Rosebud